Zum Saisonstart der Rottenburger Volleyballer: Was machen Sie eigentlich am kommenden Mittwoch, Herr Müller-Angstenberger?

Am Mittwoch den 13. Oktober starten die Rottenburger Volleyballer in ihre neue Erstligasaison. Einer wird zum ersten Mal das Geschehen von außen beobachten und eine neue Perspektive einnehmen: Ex-Trainer Hans Peter Müller-Angstenberger. Wir haben mit ihm vor dem Saisonstart gesprochen und konnten einige interessante Antworten entlocken.

Am 23. März 2019 war der Tag gekommen: 17 Jahre lang coachte Müller-Angstenberger die Rottenburger Volleyballer. An diesem letzten Spieltag in einer Saison, die für den TV Rottenburg den zweiten Abstieg aus dem Volleyball-Oberhaus brachte, stand seine Verabschiedung an. Eine Veränderung, die man am Neckar über Jahre hinweg für eigentlich unmöglich hielt. Irgendwo in der Regionalliga begann seine Geschichte. Damals übernahm ‚HPMA‘ von Robert Rotim und entwickelte den Standort stets weiter. Volleyball in der alten Hohenberghalle wurde zum Kassenschlager. Mit dem sensationellen Aufstieg in die Erste Liga kam der Umzug in die größere, höhere und moderne Paul Horn-Arena in Tübingen. 13 Jahre später endete an diesem Samstag im März eine Ära. In pink gekleidet stieg Müller-Angstenberger auf, sein weißes Hemd tauschte er nach dem Abschiedsspiel gegen ein rotes Trikot mit der Nummer Siebzehn – die Anzahl seiner Trainerjahre für Rot-Weiss.

Erstliga-Aufstieg in pink: Müller-Angstenberger in der Hohenberghalle Rottenburg

„Das können Sie sich nicht vorstellen“, sagt Müller-Angstenberger heute über den Druck, der von ihm nach diesem Spiel abfiel. „Ich habe erst dann bemerkt, wie sehr ich verantwortlich war für all das um die Mannschaft beim TVR. Wie sehr mich dieses Thema von morgens bis abends beschäftigt hatte. Über all die Jahre habe ich mir selbst ein System aufgebaut und irgendwann den Druck gar nicht mehr gespürt. Plötzlich war dieser Druck weg. Ich war nicht mehr eingeengt.“

Auch, weil Müller-Angstenberger die Entscheidung nach wie vor für richtig hält, klingt keine Reue in seinen Worten: „Es war die richtige Entscheidung. Daran glaube ich auch heute noch.“ Gemeinsam mit den Verantwortlichen des Klubs ist diese im Frühjahr während der laufenden Saison gefällt worden, in enger Abstimmung und selbst herbeigeführt vom scheidenden Coach. Die Mär vom friedlichen Ende einer so langen Ära nach einer Abstiegs-Saison klingt von außen betrachtet unecht. In Rottenburg ist das möglich. Das mag zum einen damit zusammenhängen, dass abseits des schnelllebigen Fußballgeschäfts Trainer in anderen Sportarten nicht so schnell entlassen werden. Zum anderen beweist der Umgang miteinander aber eben auch, wie respektvoll und überlegt Personalentscheidungen beim TVR getroffen werden.

Längst hat der neue Trainer seinen Platz an der Seitenlinie eingenommen. Es ist ein Belgier. Gleiche Frisur, anderer Typ. Distanziertes Verhältnis? Fehlanzeige. Bleibt die Frage, ob dem alten Coach im Sommer nie ein Gedanke von Ärger oder Missgunst in den Sinn kam, weil er vom Neuanfang ausgeschlossen wurde. „Nein“, lautet die kurze und klare Antwort. „Ich habe schon in den Jahren davor signalisiert, dass es eine Veränderung braucht, wenn man der Ansicht ist, dass ich der Mannschaft nicht mehr helfen könne. Ich hätte mich der Situation nicht entschlichen, wäre nicht davon gelaufen.“ Dass das Ende selbst initiiert wurde, habe ihn persönlich entlastet.

„Es ist alles prima und wunderbar. Ich möchte nicht, dass jemand denkt, ich würde wie ein Tiger im Hintergrund lauern. Ich hoffe, dass die Saison super läuft und dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt.“

Zwischen zwei Traininsgeinheiten findet das Interview statt. Kurz zuvor hat Müller-Angstenberger die männliche U16 zur Einheit begrüßt. Der neue Jahrgang hat im Aktiven-Bereich wenige Tage zuvor überraschend ein Herrenteam geschlagen. „Das passiert normalerweise erst in der zweiten Saisonhälfte, wenn wir gut mit dem Team gearbeitet haben.“ Er schlägt den selben Ton an, den er einst beim Bundesligateam wählte, spricht von der Entscheidung eines Einzelnen, über sich hinauszuwachsen, lobt die Einheit die er beim vergangenen Spieltag auf dem Feld gesehen hat. Was reizt an seiner neuen Aufgabe?

„Ich bin so viel im Volleyball wie davor, aber es ist ganz anders. Es gibt nur Freude, keinen Druck, glühende Augen, wache Ohren, empfangsbereite Kinder. Hier kann man sehr schnell ganz viel bewegen.“

Die neuen Aufgaben sind anders, aber genauso vielfältig: In der Volleyball-Abteilung des Hauptvereins hat Müller-Angstenberger seinen Platz gefunden. „In Reih‘ und Glied“, wie er es nennt. Zusammen mit dem hauptamtlichen Jugendtrainer Jan Scheuermann sichtet er nun die Jüngsten in den Schulen. „Ich sag immer, der Jan (Scheuermann, d. Red.) ist mein Chef und das ist auch gut so.“ Von U14 bis U18 betreut er wöchentlich jeweils ein Training der Leistungssportgruppe, gibt Einzeltraining, macht Videoanalyse mit dem Nachwuchs. Gleichzeitig trainiert er die männliche U12. In der weiblichen Jugend hilft er derzeit als Trainer aus.

 Es ist ein anderer Takt, der Müller-Angstenbergers Alltag diktiert. Weg von Hetzerei, hin zu mehr Durchatmen. Früher schlug der Rottenburger Kirchturm halb Zehn und der hauptberufliche Lehrer verließ das Klassenzimmer fluchtartig, um einigermaßen pünktlich im Vormittagstraining bei seinen Spielern zu erscheinen. Wie sich eine Schulpause im Lehrerzimmer des Eugen Bolz-Gymnasiums anfühlt, dürfte der 47-jährige erst jüngst gelernt haben. „Die Präsenz in der Schule ist nun eine ganz andere. Man kann viel mehr mit Kollegen besprechen.“ Auch insgesamt spricht er von strukturierteren Tagesabläufen: „Der Vormittag gehört der Schule, der Nachmittag dem Volleyball und die Abende gehören mir und meiner Frau.“ Rückblickend erkennt er außerdem: „Es war viel gehetzte Zeit. Die Trainings, die öffentliche Wahrnehmung, Verpflichtungen.“ Neue Verpflichtungen gäbe es bisher keine. Der Volleyball nehme schon mehr Zeit ein, als anfangs gedacht. Seine Stimme klingt zufrieden.

In Fanblock bei den Trommlern: Müller-Angstenberger 2008 gegen Dachau

Was machen Sie eigentlich, am kommenden Mittwoch, Herr Müller-Angstenberger? „Nächsten Mittwoch bin ich in der Paul Horn-Arena und freue mich riesig darauf, dieses Baby von oben zu sehen.“

Nun steht der Neuanfang bevor und der TV Rottenburg startet ohne sein langjähriges Gesicht in die Saison, in der vieles besser werden soll. Die Spiele des TVR, die Müller-Angstenberger nicht an der Seitenlinie verbracht hat, kann man an einer Hand abzählen. Eines der Spiele erlebte er im Fanblock, als er 2008 wegen einer Sperre zum Zusehen verdammt war. Mit Trommel und lautstark unterstützend. Haben die Rottenburger Trommler im Vorfeld des Heimauftakts eine Nachricht erhalten? „Das läge ja auf der Hand“, antwortet er lachend und wird schnell wieder ernst. „Nein, im Ernst. Ich freue mich total auf das erste Spiel, und die Saison, auf dieses ‚nicht-mehr-drin stecken‘“. Er freue sich auf die neue Perspektive von außen und kennt seine Rolle: „Ich setze mich in die Halle und will nicht im Vordergrund stehen. Ich glaube die Beobachterrolle tut mir ganz gut. An der Trommel wird man mich also nicht so schnell erleben. Das wäre auch unpassend.“

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