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Drei Vereine, drei Geschichten, ein Problem: Der “Lockdown light” schließt nicht nur die Amateursportler aus, sondern auch seine Fans. Wir haben mit ihnen gesprochen.

Es ist schon ein komisches Sportjahr 2020, das wir derzeit erleben. Reguläre Sportveranstaltungen ohne Sorge und Bedenken, ohne mitschwingende Infektionsgefahr und ohne Maskenpflicht wirken bisweilen wie Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Der Lockdown im Frühjahr trat analog zum Virus in unser Leben: Völlig überraschend, ohne Vorwarnung und mit voller Härte und Konsequenz auf unseren Alltag. Den Sommer über hatte man kurzzeitig das Gefühl, eine neue Normalität mit Corona sei aushaltbar. Mit Beginn der neuen Saison machte sich auf den Sportanlagen des Landes der Schein breit, es sei alles wie immer. Da gab es Pokalspiele in Holzhausen gegen Regionalligist Balingen mit mehreren hundert Zuschauern oder den Saisonauftakt der neu-formierten Volleyballmannschaft beim TV Rottenburg vor ebenfalls zahlreichen Fans. In Tübingen empfing die TSG den Nachwuchs des VfB Stuttgart. Viele Zuschauer fanden den Weg auf’s Sportgelände der Tübinger um die potenziellen Bundesligaspieler zu sehen. Landauf landab waren die Vereine bemüht, die “gute alte Zeit” wiederherzustellen – von Handball bis Fußball, von Volleyball bis Basketball. Wären da nicht die regelmäßigen Hinweise auf Einhaltung der Abstandsregeln sowie der zum Teil geltenden Maskenpflicht, der Virus wäre aus unserem Sport-Alltag vertrieben gewesen. Der Schein trügte. Das steht spätestens seit den steigenden Neuinfektionen und dem “Lockdown light” fest. 

Seit Anfang November ist alles wieder anders. Die Mechanismen wiederholen sich: Kontakte vermeiden, keine (Sport-)Veranstaltungen. Während der Profisport versucht, seinen Spielbetrieb aufrecht zu erhalten, wurde den Amateuren der (Spiel-)Boden unter den Füßen weggezogen. Seither sitzen SportlerInnen wieder zuhause und warten auf Besserung. Nicht nur die Akteure auf dem Feld leiden unter dem neuen Normal. Mindestens genauso trist sind die Wochenenden momentan für treue Amateurfans. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen. Was sie am meisten vermissen und was sie jetzt mit der neu gewonnenen Zeit anfangen.

"Über Bier oder Spezi entscheidet der Kater"

Es ist ein tristes Bild, das Sascha Scheufele im Zoom-Gespräch darstellt. Hinter ihm nichts als eine graue Wand. Die Situation dürfte recht gut seine Gefühlswelt darstellen. Es ist Freitagnachmittag und eigentlich stünde am Wochenende das Auswärtsspiel des TSV Ofterdingen bei der SG Reutlingen in der Bezirksliga Alb an. Eigentlich. Die Gründe für den Ausfall sind bekannt. Scheufele wirkt nachdenklich: “Wir sind gerade am überlegen, was wir mit der neu gewonnenen Zeit machen”, sagt er. Sein Stammplatz bleibt am Wochenende leer. Und der ist nicht auf dem Spielfeld: Direkt neben der Auswechselbank schaut er die Spiele der Ofterdinger in der Regel. Früher war er auch mal Betreuer, mittlerweile nimmt er nur noch die Beobachterrolle ein. “Wahlweise auch an der Würstlesbude oder am Bierbrunnen. Über Bier oder Spezi entscheidet der Kater”, erklärt er mit einem Augenzwinkern. Im Lockdown bleibt ihm momentan keine Wahl. Stattdessen sinniert er über Poker-Abende auf Skype mit Freunden, die er sonst auf dem Fußballplatz trifft. Traurige Amateur-Fußballwelt. 

Was ihm fehlt? “Meine Freunde zu sehen. Wir verbringen ja auch sonst viel Zeit zusammen. Einen Scheiß rausschwätzen, was am Wochenende passiert ist, was es für Geschichten gibt.” Man wolle schließlich nichts verpassen, weil immer etwas lustiges passiert, das sei das Schönste. Seit man sich nur noch mit maximal zwei Haushalten treffen kann, ist der persönliche Kontakt schwierig geworden. Der Sport ist dabei ein wichtiges Gesprächsthema: “Es ist einfach lustig, wenn man sich gegenseitig einen Spruch drücken kann, wenn z.B. der Fabi Schmid wieder das leere Tor nicht getroffen hat – da haben wir natürlich Spaß dran, aber das gibt es jetzt ja leider alles nicht.” Scheufele bleibt optimistisch. Hofft auf eine schnelle Rückkehr des Sports. Er sieht aber auch die Chancen realistisch. Auf was er sich beim Comeback am meisten freut: “Mir fehlt am meisten das Schnitzel beim Sportheim-Wirt und die Sozialen Kontakte am Spieltag. Ich glaube, dass es dieses Jahr nicht mehr weitergeht, aber wir hoffen natürlich das beste.”

"Du kannst dich 60 Minuten lang auf dem Platz und auf den Rängen bekämpfen aber danach trinkst du ein Bier zusammen und alles ist wieder in Ordnung"

Nur wenige Kilometer entfernt von Ofterdingen sind die HandballerInnen der Sportvereinigung Mössingen zuhause. Als Hallensportart traf die Corona-Verordnung die Spvgg noch etwas härter. Daher haben die Verantwortlichen von HIM (“Handball in Mössingen”) vorausschauend gehandelt: Das einzige Heimspiel bisher übertrugen die Mössinger im kommentierten Livestream auf Youtube. Besser als nichts, aber das Erlebnis vor Ort kann die Übertragung nicht ersetzen – findet auch Philipp Schneemann, Mitglied im Fanclub ‘Commando Steinlach’. Sein Stammplatz ist im A-Block der Steinlachhalle. “Es kann auch mal sein, dass ich weiter nach vorne komme. Bei einem gewonnen Spiel für die Humba – aber im Normalfall sitze ich immer ganz links oben”, sagt Schneemann. 

Über einen Freund ist der ursprüngliche Fußballfan zur Spvgg gekommen. “Mein Kumpel hat mich vor acht Jahren da mal hingeschleppt. Seither macht es wahnsinnig viel Spaß und die Leute sind korrekt. Handball ist ein cooler Sport, der emotional aufgeladen ist.” Schneemann betont die Fairness und Sportlichkeit, die er an dem Sport schätzt: “Du kannst dich 60 Minuten lang auf dem Platz und auf den Rängen bekämpfen aber danach trinkst du ein Bier zusammen und alles ist wieder in Ordnung. Das sieht man beim Fußball leider nicht so oft.” 

Auch für den Handballfan ist der November anders als geplant: Die übliche Dosis Sport gibt’s bei Übertragungen im Fernsehen. Und auch sonst fehlt einiges: “Mir fehlt am meisten das ungestörte Rausgehen, das unbedarft-sein. Die Saison wurde im März abgebrochen. Seither gab es keine Möglichkeit mehr, die Spiele in der Halle zu sehen. Darauf freue ich mich am meisten!”

Kalter Entzug für Allesfahrer

Sportartwechsel. Einen echten Neustart haben die Volleyballer beim TV Rottenburg hinter sich. In einer Sportart die –  ‘gefangen’ in der von Liga und Verband vorangetriebenen Eventisierung des Sports – nur kaum frenetische Fangruppierungen entwickelt, sind sogenannte Allesfahrer eine Seltenheit. Volleyball gilt als Sport für die Familie, immer fair und manchmal so fair, dass Kritiker darin fehlende Emotionalisierung vorwerden. Timo Kehler ist einer der Fans, die den TV Rottenburg seit Jahren zu jedem Spiel begleitet. Ligaweit ist der harte Kern der Rottenburger Trommler bekannt, weil zu Bundesligazeiten Auswärtsspiele am Mittwochabend im fernen brandenburgischen Königs Wusterhausen keine Hürde darstellten. Seit diesem Herbst hat sich der TVR in der Dritten Liga neu aufgestellt und insgesamt verkleinert. Die Spiele sind nicht mehr in Tübingen in der Paul Horn-Arena, die Rottenburger kehrten in die Volksbank Arena zurück, wo in der damaligen Hohenberghalle die Volleyballbeisterung seinen Ursprung hat.

Auch nach der Neu-Orientierung ist Kehlers Stammplatz an der Stirnseite bei seinen Trommlern. Bis zum November waren es drei Spiele, jetzt schlägt vorerst keine Trommel mehr einen Ton bei den Spielen. “Vor einigen Jahren, als wir hierher gezogen sind, hat mich meine Frau mit zu einem Spiel genommen. Seitdem bin ich begeisterte Zuschauer, die Stimmung gefällt mir und nach einer gewissen Zeit habe ich auch den Sport verstanden”, sagt er. Seit der Sport landesweit eine Auszeit nimmt, bleibt mehr Zeit für anderen Sportarten im Fernsehen oder die Erinnerung an vergangene Bundesligazeiten: “Wir schauen jetzt halt American Football oder Volleyballspiele im TV. Persönlich fehlt mir nicht sehr viel, weil mein Arbeitsalltag im Home Office normal weiterläuft. Die Wochenenden sind jetzt eben etwas eintöniger.” Für jemanden wie Kehler, der in den vergangenen Jahren Saison für Saison tausende Kilometer abgerissen hat ein ziemlich kalter Entzug.

Kehler stimmt in den Kanon der Sehnsucht ein. Er vermisse die Stimmung, das Live-Erlebnis mit der Mannschaft und nicht zuletzt die Begegnungen in der Halle. “Live-Sport ist einfach etwas anderes, als wenn man vor dem Fernseher oder dem Stream sitzt.” Auch für den TVR-Fan dürfte die Freude groß sein, wenn der Ball wieder fliegt.

Haltet durch!

Egal ob in Ofterdingen, Mössingen, Rottenburg oder wo anders: Der neu-aufgenommene Schwung aus dem Sommer ist im November jäh verpufft. Nicht nur die SpielerInnen auf dem Feld, auch die treuen Anhänger der Amateurmannschaft leiden. Im Lockdown bleibt viel Zeit, nachzudenken: Wie soll die angefangene Saison überhaupt beendet – und falls nicht – gewertet werden? Wann finden die nächsten Spiele mit Zuschauern statt? Arg viel verrät die Glaskugel momentan nicht. Wenn auch noch nicht feststeht, wann das sein wird: Wir freuen uns mit allen Anhängern auf das erste Wiedersehen in der Halle, auf das nächste Auswärtsspiel, auf die Rote Wurst und auf das Bier und darauf, dass wir unserer Leidenschaft bald wieder nachgehen können. Haltet durch!